Vom Finger in der Wunde

Meine Gedanken sind heute bei Martina W., Lucille H., Christian S., Andreas K. und ihren Angehörigen. Heute vor einem Jahr wurden diese 4 Menschen mit Behinderung in ihrem Zuhause, dem Oberlinhaus Potsdam von einer Pflegekraft getötet. Seitdem kämpft die Community um Aufmerksamkeit für diese Tat und die Strukturen, die sie ermöglicht und begünstigt haben. #Ableismustötet

Seit Tagen habe ich überlegt, was und ob ich heute etwas schreiben will. Und ich erinnere mich wie es kurz nach der Tat war. Die Gefühle, die ich erstmal selber verarbeiten musste, die Wut über das Schweigen der Mehrheit, und wie wichtig es deshalb damals und heute war und ist, Worte zu finden.

Es sollte nicht die alleinige Aufgabe und Verantwortung der Community sein, uns für Sichtbarkeit und Aufarbeitung einzusetzen. Wir brauchen Zeit zu trauern, Zeit für Wut, Zeit zum Verarbeiten. Die Auseinandersetzung mit der Tat, der Berichterstattung, dem Prozess ist anstrengend und verletzend.

Ich habe das Gefühl, wir müssen es immer wieder tun: unsere Wunden zeigen und die Narben, um zu beweisen, welche Verletzungen geschehen, dass Diskriminierung real ist und wozu sie führen kann. Wir müssen immer wieder die schmerzhaften Geschichten erzählen und erneut durchleben, müssen uns für Wut rechtfertigen oder als Inspiration herhalten. Und ja, viele von uns legen immer wieder selber den Finger in die Wunde, weil wir für die Veränderung kämpfen und es so oft kein anderer tut.

In Johannes 20 steht die Geschichte vom Ungläubigen Thomas, der Jesu Auferstehung erst glaubt, als er seine Finger in Jesu Wunden legen und sie berühren und sehen kann. Jesus antwortet: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Glaub mir, Diskriminierung ist real. Sie ist alltäglich. Glaub mir, es gibt Ableismus, auch in Kirche und Diakonie. Glaub mir, Ableismus kann tötlich enden.

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