Mit dem Lastenaufzug auf die Bühne

Ich habe ziemlich lange keinen Blogartikel mehr geschrieben. Dieser hier arbeitet schon lang in mir und ich ringe sehr um die richtigen Worte, um die Erfahrungen zu beschreiben und zu reflektieren.

Ich habe letzten Sommer für den Rat der EKD kandidiert. Das zu sagen oder schreiben kommt mir immer noch komisch vor. Im Juli kam der Anruf. Willst du kandidieren? Wow. Gedankengänge, Fragen, Zweifel, Träume von Jahren bündelten sich plötzlich in drei Wochen, in denen ich eine Entscheidung treffen musste. Und ich spürte schon da: Meine Entscheidung und der weitere Verlauf würden Einfluss darauf haben, wie ich über meine (berufliche) Zukunft mit/in der Kirche nachdenke.

Ich entschied mich dafür zu kandidieren und so saß ich im November plötzlich auf einer EKD-Synode, mein Handy mit den Vortragsnotizen in den zittrigen Händen. Einer nach der anderen der Kandidierenden ging auf die Bühne, um sich vorzustellen. Noch während andere sprachen, feilte ich an den letzten Worten meines Textes, in den ich so viel von mir legte. Ich hatte viel über diese Worte nachgedacht, über Erwartungen, darüber, wie man das so macht, welche Sprache wohl angemessen wäre. Ich entschied mich für mich, versuchte mich von äußeren Erwartungen frei zu machen und zu sagen, was ich zu sagen hatte. Auf meine Art. Als ich diese Barriere im Kopf durchbrochen hatte, schrieb sich der Text wie von allein. Ja, ich hatte was zu sagen.

Eine Barriere blieb. In Begleitung einer Mitarbeiterin des EKD-Kirchenamtes verlies ich einige Minuten vor meinem Einsatz den Saal, um auf die Bühne zu gelangen, weil die sehr steile Treppe ohne Geländer vorne keine Option für mich war. Und so standen wir in diesem Lastenaufzug hinter der Bühne, der etwa den Charme des Inneren eines LKWs versprühte. Ich machte ein Foto als Andenken. Lachte. Irgendwie war das so absurd komisch. Ich war rechtzeitig auf der Bühne, hielt meine Rede und kehrte zurück zum Lastenaufzug während die nächsten Kandidat*innen an der Reihe waren. Die Aufzugtüren bestanden aus riesigen Metalltüren, die manuell geschlossen werden mussten. Sie klemmten. Wir erkannten, dass wir sie mit Schwung zuziehen müssten, um irgendwie wieder von dieser Bühne zu kommen. Den unwahrscheinlich lauten Knall, den das vermutlich verursachen würde, wollten wir im nächsten Applaus verstecken. Kichernd und lauschend standen wir nun also in diesem Lastenaufzug und warteten auf das Ende der nächsten Rede. Das Licht ging aus. Wir hatten uns zu lang nicht bewegt. Wir verkniffen uns immer mehr ein Lachen. Konnte man uns im Saal hören? Der Applaus begann und sie zog mit großem Schwung und ohrenbetäubendem Knall die Tür ins Schloss. Ich erspare euch den Rest der Geschichte, in deren Verlauf wir noch aus Versehen in den Keller fuhren und es letztlich einige weitere Reden später zurück in den Saal schafften.

Ich habe viel gelacht in dieser Situation und ich danke der Mitarbeiterin vom Kirchenamt, die sich wirklich großartig und ohne Fragen zu stellen kümmerte und Lösungen fand. Am nächsten Tag beim Frühstück erzählte ich sie noch: die lustige Geschichte vom Weg auf die Bühne. Mir fiel erst später auf, warum es so wichtig war, darüber zu lachen. Und welche Emotionen ich damit vor mir selbst versteckte. Ein Lastenaufzug. WTF? Sei doch froh, dass das immerhin ging, sagt mein internalisierter Ableismus. Seit Monaten ringe ich mit diesen Worten. Ich schreibe sie jetzt aus: Ich bin mehr wert, verdammt! Und ja: genau deswegen war ich dort. Weil ich gesehen werden will. Gehört werden. Weil ein Lastenaufzug sagt: Wir haben dich nicht mitgedacht. Du gehörst eigentlich nicht auf Bühnen. Und ich bin es Leid, mir diese Räume immer wieder erkämpfen zu müssen. Mich zu rechtfertigen. Das Kirchenamt der EKD hat wirklich einen guten Job gemacht, ich wurde sehr unterstützt als ich die Probleme ansprach. Aufrichtig danke dafür. Und trotzdem bleibt: Niemand, der*die an der Organisation der Synode beteiligt war, hat dabei im Vorfeld Barrierefreiheit mitgedacht. Und das – ich kann es gar nicht genug betonen – auf einer Synode, die Aktionspläne Inklusive Kirche am dritten Tag sogar auf der Tagesordnung hatte. Ich könnte jetzt auch noch von den abgeschlossenen Behinderten-Toiletten oder den Stufen am Haupteingang erzählen.

Wir feiern uns gerne für unsere Diversität. Wir haben immer mehr Frauen in Leitungspositionen, auch mehr junge Menschen. Aber Diversität hat mehr Kategorien. Wenn ich erlebe, dass bei einer Wahl mehr auf die Verteilung von Nord- und Süddeutschland geachtet wird, als dass Menschen mit Marginalisierungserfahrungen bedacht werden, dann macht mich das wütend. Es geht mir nicht darum, dass ich nicht gewählt wurde. Es geht mir zum Beispiel auch um eine nun ausschließlich weiße EKD-Synode und einen ausschließlich weißen Rat der EKD. Es geht mir darum, welchen Perspektiven fehlen, welche Fragen jetzt nicht gestellt werden. Welche Stimmen nicht gehört. Und ich denke darüber nach, was Repräsentation bewirken kann. Wenn ich mehr Menschen mit Behinderung in Gemeinden und Leitungspositionen sehen würde, auf Podien, in Podcasts und Kirchentagsstadiongottesdiensten. Wenn ich nicht immer nachfragen und bitten müsste, sondern Barrierefreiheit als Recht mitgedacht wäre. Wenn wir Macht und Deutungshoheit offen diskutieren und reflektieren würden…

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